2025-09-05
Patrizia De Munari–Aus Ohnmacht wird Ausdruck
Inmitten von Kinderlachen, Alltagschaos und der Verantwortung als zweifache Mutter findet sie ihren stillen Zufluchtsort: die Malerei. Jeder Pinselstrich ist für sie ein Atemzug, ein Loslassen, ein Aufschrei und zugleich ein Gebet. Ihre Kunst entsteht aus den kleinen Momenten zwischen Pflicht und Fürsorge – und doch trägt sie eine ungeheure Wucht in sich. Auf der Leinwand verwandeln sich Schmerz, Ohnmacht, Sehnsucht und Hoffnung in Farben, die nicht nur gesehen, sondern gefühlt werden wollen. Ob in der ergreifenden Darstellung einer Gaza-Mutter, die das Leid der Welt verkörpert, oder in der kraftvollen Symbolik des „Orca“, der für Stärke und Freiheit steht – ihre Werke sind mehr als Bilder. Sie sind Spiegel einer Seele, die nicht schweigen kann, wenn die Welt brennt, und die dennoch immer wieder Licht, Liebe und Hoffnung sucht.
Wie hat dein Alltag als zweifache Mama deinen Zugang zur Kunst und zum Malen beeinflusst?
Mein Alltag als Mama von zwei Kindern ist geprägt von Struktur, Verantwortung und ständigen To-do-Listen. Da bleibt kaum Raum für mich selbst – und genau deshalb ist die Kunst für mich so wichtig geworden. In den seltenen Momenten, die nur mir gehören, greife ich zu den Farben und lasse alles raus, was im Alltag keinen Platz findet. Malen ist mein Ausgleich, meine Möglichkeit, all die Gedanken und Gefühle, die sonst in mir bleiben würden, sichtbar zu machen. Wenn ich male, bin ich nicht „nur“ Mama, sondern auch Frau, Künstlerin, Mensch mit Sehnsüchten, Ängsten und Träumen. Meine Kinder haben meinen Zugang zur Kunst intensiviert – weil sie mir täglich zeigen, wie verletzlich und wertvoll das Leben ist. Ihre Lebendigkeit und Unbeschwertheit sind für mich ein ständiger Antrieb, das Leben bewusst zu fühlen und diese Gefühle auf die Leinwand zu bringen.
Was bedeutet dir das Bild „Orca“ persönlich – was spürst du, wenn du es ansiehst oder malst?
„Orca“ ist für mich viel mehr als ein Bild – es ist ein Spiegel meiner Sehnsucht nach Freiheit und Stärke. Wenn ich den Orca male oder betrachte, spüre ich die Weite des Meeres, das tiefe Blau, die Kraft der Natur, die uns Menschen oft so klein erscheinen lässt. Gleichzeitig sehe ich in diesem Tier auch mich selbst: stark, schützend, voller Energie, aber auch verletzlich und auf eine gewisse Weise einsam. Orcas leben in Gemeinschaft, aber sie verkörpern auch Würde und Stolz. Für mich bedeutet das Bild: ich darf frei sein, ich darf meinen eigenen Weg schwimmen, auch wenn das Leben voller Strömungen ist. Jedes Mal, wenn ich es ansehe, fühle ich mich getragen von dieser inneren Stärke, die ich manchmal im Alltag vergesse.
Du malst aus dem Bauch heraus mitten im Chaos des Lebens – wie gelingt dir dieser besondere Moment der Verbindung zu dir selbst?
Es ist schwer zu erklären, weil es fast wie ein Ritual geworden ist. Sobald ich die Tür zu meinem Atelier hinter mir schließe, verändert sich etwas in mir. Es ist, als ob ich einen Schalter umlege – von der funktionierenden, organisierten Mutter, die den Alltag im Griff haben muss, hin zur Frau, die endlich atmen darf. Das Chaos, die Geräusche, die Hektik – alles bleibt draußen. Vor mir liegt nur die Leinwand, und die Farben nehmen mich an die Hand. In diesem Moment bin ich nicht mehr fremdbestimmt, sondern ganz bei mir selbst. Ich male aus dem Bauch heraus, ohne Plan, ohne Grenzen. Es ist wie ein Dialog mit meinem Innersten, ein Fließen, das mich trägt. Manchmal entstehen dabei Bilder voller Schmerz, manchmal voller Freude – aber immer entsteht ein Stück Wahrheit von mir.
Welche Rolle spielt Kunst für dich als Dialog mit deiner Seele und als Ausdruck deiner Freiheit?
Die Kunst ist meine Sprache, wenn Worte nicht reichen. Sie ist mein Ventil, meine Möglichkeit, Dinge zu sagen, die sich nicht aussprechen lassen. Oft spüre ich eine tiefe Machtlosigkeit gegenüber dem, was in der Welt geschieht. In der Kunst wird diese Machtlosigkeit sichtbar, sie bekommt Farbe und Form. Und gleichzeitig schenkt sie mir Freiheit. Freiheit, ich selbst zu sein, ohne Maske, ohne Rolle. Kunst ist wie ein Gespräch mit meiner Seele – manchmal schmerzhaft, manchmal heilsam, manchmal leicht und verspielt. Sie erinnert mich daran, dass ich mehr bin als der Alltag, mehr als die Erwartungen anderer. Kunst ist für mich Selbstbestimmung und Selbstbefreiung.
Du hast kürzlich ein Bild mit dem Thema Gaza gemalt – wie beeinflussen aktuelle Ereignisse deine künstlerische Arbeit und deine Gefühle?
Sehr stark – manchmal sogar mehr, als mir lieb ist. Die Nachrichten, die Bilder, das Leid der Menschen – besonders der Kinder – lassen mich nicht los. Sie brennen sich in mein Herz, und ich kann sie nicht einfach ignorieren. Als ich das Bild der Gaza-Mutter mit ihrem verstorbenen Kind gemalt habe, war es, als würde ich all den Schmerz, den ich in mir trug, nach außen kehren. Es war ein schwerer Prozess, der mich an meine emotionalen Grenzen gebracht hat. Oft habe ich beim Malen Tränen in den Augen gehabt, weil ich die Mutter in mir spürte, die Angst, die Trauer, die Ohnmacht. Gleichzeitig war es für mich notwendig. Ich wollte nicht wegsehen, ich wollte nicht verdrängen. Dieses Bild war mein Weg, Anteil zu nehmen, mitzufühlen und all das, was mich erschüttert, in eine Form zu bringen, die bleibt. Meine Kunst ist immer eng mit meinen Gefühlen verbunden – und aktuelle Ereignisse, die die Welt erschüttern, prägen meine Arbeit genauso wie meine persönliche Lebensrealität.
Admin - 14:46:53 @ Allgemein, ARTIST, EXHIBITION | Kommentar hinzufügen
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